Anfang März 2024 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Richtlinien aktualisiert – und gibt damit der Ernährung in Deutschland eine neue Richtung vor. Die offiziellen Empfehlungen für den Verzehr von Fleisch und Milch wurden gesenkt, zudem empfiehlt die DGE ab sofort einen höheren Anteil pflanzlicher Nahrungsmittel. Die Richtlinien der DGE reihen sich in die Empfehlungen internationaler Fachgesellschaften ein, die die Wichtigkeit pflanzlicher Nahrungsmittel als Basis einer gesunden Ernährung betonen. Laut DGE sollten pflanzliche Nahrungsmittel mindestens 75 % unserer Ernährung ausmachen. Durch eine Umstrukturierung der eingeteilten Nahrungsmittelgruppen wird zudem die Bedeutung von Hülsenfrüchten wie Erbsen, Bohnen und Linsen sowie Nüssen für die Gesundheit hervorgehoben.

DGE-Richtlinien bestimmen mitunter den Speiseplan in Schulen und Universitäten

Die neuen Richtlinien sind nicht nur theoretische Empfehlungen. Viele öffentliche Einrichtungen orientieren sich bei der Gestaltung ihrer Speisepläne daran, darunter Schulen, Universitäten und Betriebskantinen. Für die Schulverpflegung sind die DGE-Richtlinien bereits in 5 Bundesländern verbindlich. Bis 2030 sollen sie laut der Ernährungsstrategie der Regierung bundesweit verpflichtend sein. Die Richtlinien sind außerdem Teil der Ausbildung von Ernährungsfachkräften.

„Die Tragweite der offiziellen Empfehlungen der DGE lässt sich kaum genug betonen.
Jedes Gramm Fleisch weniger wirkt sich exponentiell aus. Nationale Ernährungsrichtlinien prägen, was wir essen, was wir über gesunde Ernährung wissen und welche Ernährung wir unseren Kindern beibringen.“

– Anna-Lena Klapp, Ernährungswissenschaftlerin
und International Nutrition & Health Lead bei ProVeg –

Ernährungsrichtlinien berücksichtigen Umweltkriterien

Erstmals hat die DGE bei der Erstellung der Richtlinien neben Ernährungs- und Gesundheitsaspekten auch Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien einbezogen – und das ist dringend notwendig. Unsere Ernährung ist für ein Drittel der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.1, 2 Fleisch und Milchprodukte belasten das Klima mit am stärksten. Die DGE nähert sich damit den Empfehlungen der interdisziplinären EAT-Lancet-Kommission an, die 2019 die Planetary Health Diet veröffentlicht hat.3

Zugeständnis an die Fleischwirtschaft?

Auffällig ist, dass die DGE die 2023 vorgesehene erhebliche Reduktion der Verzehrmenge von Fleisch deutlich abgeschwächt hat. In einem ersten Entwurf mit künftigen Richtwerten für Fleisch und Wurst fielen die Verzehrempfehlungen als erstaunlich progressiv auf: Die neu entwickelte Berechnung ergab dort noch eine Höchstmenge von rund 70 Gramm Fleisch pro Woche. Das sorgte für Aufregung bei den Verbänden der Milch- und Fleischwirtschaft.4 Heute sucht man die 70 Gramm Fleisch pro Woche in den neuen Empfehlungen vergebens. Stattdessen beträgt die empfohlene Verzehrmenge nun 300 Gramm. Das entspricht der unteren Grenze des bisher empfohlenen Bereichs. Die Vervierfachung der Empfehlungen bei gleicher Datenlage ist wissenschaftlich nicht plausibel und wirkt daher wie ein Zugeständnis an die Fleischlobby.

Verpasste Chance bei Alternativprodukten

Immer mehr Menschen hierzulande entscheiden sich bewusst für eine Reduktion tierischer Nahrungsmittel: Der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch ist 2023 zum 5. Mal in Folge gesunken.5 Er liegt damit 9,4 Kilogramm unter dem Wert von vor 5 Jahren. Pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Joghurt, Fisch und Co. bieten eine gute Hilfestellung für Menschen, die ihre Ernährung umstellen und sich pflanzenbetonter ernähren wollen. Die neuen DGE-Richtlinien integrieren jedoch keine Alternativprodukte.

Wer Alternativprodukte anerkennt, kann sinnvolle Empfehlungen aussprechen und den Menschen zum Beispiel mit Kalzium angereicherte Sojamilch und Alternativprodukte mit einem geringen Zucker-, Salz- und Fettgehalt nahelegen. Fast die Hälfte aller nationalen Ernährungsrichtlinien weltweit erwähnen bereits pflanzliche Alternativen zu Fleisch oder Tiermilch. Unter anderem führen die USA, Großbritannien und die Niederlande Sojamilch mit Kalzium als adäquate Alternative zu Kuhmilch auf.6

„Die Chance, das wachsende Angebot an Alternativprodukten mit
Blick auf die Gesundheit mitzugestalten, hat die DGE mit den neuen Ernährungsrichtlinien eindeutig verpasst.“

– Anna-Lena Klapp, Ernährungswissenschaftlerin
und International Nutrition & Health Lead bei ProVeg –

ProVeg fordert inklusive Nahrungsmittelgruppen

ProVeg spricht sich außerdem dafür aus, Nahrungsmittelgruppen inklusiver zu gestalten, indem tierische Nahrungsmittel zum Beispiel mit pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten und Tofu in einer „Proteingruppe“ zusammengefasst werden, ähnlich wie es Kanada mit seinen 2019 veröffentlichten Ernährungsempfehlungen vormacht. Alternative Nährstoffquellen ließen sich so leicht identifizieren, wenn man ein Nahrungsmittel nicht mag, nicht verträgt oder aus ethischen oder ökologischen Gründen nicht zu essen bereit ist. Der erste Schritt hin zu ausgewogenen Ernährungsrichtlinien ist getan – und Deutschland ist bereit, weiterzugehen.

Über ProVeg

ProVeg International ist eine Ernährungsorganisation, die sich für die Transformation des globalen Ernährungssystems einsetzt. Unsere Mission ist, bis 2040 weltweit 50 Prozent der Tierprodukte durch pflanzliche und kultivierte Nahrungsmittel zu ersetzen. ProVeg arbeitet mit relevanten Akteuren am Übergang zu einem Ernährungssystem, in dem sich alle für genussvolles und gesundes Essen entscheiden, das gut für alle Menschen, Tiere und unseren Planeten ist.

1 Crippa, M., E. Solazzo, D. Guizzardi, et al. (2021): Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nature Food. Doi:10.1038/s43016-021-00225-9
2 Xu, X., P. Sharma, S. Shu, et al. (2021): Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods. Nature Food 2(9), 724–732. Doi:10.1038/s43016-021-00358-x
3 EAT-Lancet Commission (2019): Healthy Diets From Sustainable Food Systems. Summary Report of the EAT-Lancet Commission.
Online unter:
eatforum.org/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf
4 Tönnies (2023): Ernährungsempfehlung der DGE ein „Missverständnis“, veröffentlicht am 23.06.2023.
Online unter:
toennies-agrarblog.de/ernaehrungsempfehlung-der-dge-ein-missverstaendnis
5 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2024): Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch sinkt auf unter 52 Kilogramm, veröffentlicht am 04.04.2024.
Online unter:
ble.de/Pressemitteilungen/Fleischbilanz
6 Klapp, A.-L., N. Feil & A. Risius (2022): A Global Analysis of National Dietary Guidelines on Plant-Based Diets and Substitutions for Animal-Based Foods, in: Current Developments in Nutrition, Jahrgang 6, Ausgabe 11, November 2022.
Online unter:
cdn.nutrition.org/article/fulltext


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Kategorien: Allgemein
Tags: Tierschutz