von: Dr. Markus Keller

Die Diskussion um das gesundheitliche Potential von pflanzenbasierten Ernährungsweisen hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Während die ökologischen und ethischen Vorteile von plant-based diets heute weitgehend anerkannt sind, befassten sich wissenschaftliche Beiträge zu gesundheitlichen Aspekten vegetarischer und veganer Ernährung in der Vergangenheit meist nur mit potenziellen Risiken. Die Sorge vor möglichen Nährstoffmängeln überschattete viele Jahrzehnte das präventive und therapeutische Potential dieser Ernährungsweisen. Doch ab den 1990er Jahren vollzog sich ein Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Diskussion, denn zunehmend wiesen Studien darauf hin, dass die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen oder veganen Ernährung – bei richtiger Durchführung – gegenüber den möglichen Risiken überwiegen.

Nährstoffversorgung bei pflanzenbasierter Ernährung

Bei einer vegetarischen Ernährung werden keine Lebensmittel verzehrt, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Wurst und Fisch. Eine vegane Ernährung schließt hingegen alle Lebensmittel tierischer Herkunft aus, also auch Milch, Milchprodukte und Eier (und meist auch Honig). Der (freiwillige) Verzicht auf bestimmte Lebensmittelgruppen kann sich jedoch auf die Nährstoffversorgung auswirken, denn einige Nährstoffe kommen in pflanzlichen Lebensmitteln im Vergleich zu tierischen Produkten in geringeren Mengen vor und/oder sind schlechter bioverfügbar.

Diese potentiell kritischen Nährstoffe sind bei vegetarischer Ernährung Eisen, Zink, Jod, Selen und die langkettigen Omega-3-Fettsäuren. Bei veganer Ernährung kommen außerdem Vitamin B12, Vitamin B2 und Calcium hinzu. Kritisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr – etwa der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – häufiger unterschritten werden. Fast alle der genannten kritischen Nährstoffe können durch eine abwechslungsreiche und gut geplante vollwertige pflanzliche Lebensmittelauswahl ausreichend zugeführt werden. Vor allem bei veganer, oft aber auch bei vegetarischer Ernährung muss Vitamin B12, das in Pflanzen praktisch nicht vorkommt, ergänzt werden. Jod als allgemein kritischer Nährstoff in der Bevölkerung kann durch die Verwendung von Jodsalz und Meeresalgen (z. B. Nori in moderaten Mengen) zugeführt werden. Bei den langkettigen Omega-3-Fettsäuren bieten sich mit EPA und DHA aus Mikroalgen angereicherte Pflanzenöle an (übrigens auch für alle, die keinen oder nur wenig Fisch essen).

Es gibt jedoch auch einige Nährstoffe, mit denen Vegetarier/innen und Veganer/innen im Vergleich zu Mischköstler/innen meist besser versorgt sind, beispielsweise β-Carotin, Vitamin E, Vitamin B1, Folat, Vitamin C, Kalium und Magnesium. Auch die Zufuhr von Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen ist bei vegetarischer und veganer Ernährung üblicherweise höher.

Die bessere Versorgung mit bestimmten Nähr- oder Inhaltsstoffen ist ein Grund dafür, dass Vegetarier/innen und Veganer/innen im Durchschnitt ein geringeres Risiko für ernährungsmitbedingte Erkrankungen haben als Menschen, die eine Mischkost mit Fleisch und Fisch konsumieren. Zu diesen positiven Gesundheitswirkungen zählen insbesondere:

  • ein geringeres Körpergewicht bzw. ein BMI (Body Mass Index) im Normbereich

  • ein verringertes Risiko für Typ-2-Diabetes

  • niedrigere Blutdruckwerte

  • eine positive Beeinflussung der Blutfettwerte mit niedrigerem Gesamt- und LDL-Cholesterin

  • ein reduziertes Risiko für ischämische Herzerkrankungen sowie

  • ein verringertes Risiko, an Krebs zu erkranken.

Doch welche Faktoren sind für diese Beobachtungen verantwortlich?

Senkung der Gesamtmortalität und des Herzinfarktrisikos (auch) durch einen gesundheitsbewussten Lebensstil

Das geringere Risiko für die genannten Erkrankungen ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Vegetarier/innen und Veganer/innen häufig einen insgesamt gesünderen Lebensstil aufweisen: Sie rauchen deutlich seltener, trinken weniger Alkohol und weisen meist eine höhere körperliche Aktivität als Mischköstler/innen auf. Menschen mit einer pflanzenbasierten Ernährungsweise sind daher allein durch ihren gesundheitsbewussteren Lebensstil seltener von chronischen Erkrankungen betroffen. Nach Ergebnissen der EPIC-Norfolk-Studie beeinflusst das Nichtrauchen die Gesamtsterblichkeit und das Herzinfarktrisiko am stärksten.

Diese günstigeren Lebensstilfaktoren werden jedoch in den wissenschaftlichen Vergleichsstudien mit Vegetarier/innen und Mischköstler/innen statistisch berücksichtigt. Denn – vereinfacht gesagt – ergibt es wenig Sinn, übergewichtige, rauchende und inaktive Fleischesser mit schlanken, nichtrauchenden und sportlichen Veganerinnen zu vergleichen. Daher werden Studienergebnisse für diese Unterschiede im Lebensstil (und meist viele weitere Einflussfaktoren) bereinigt. Zeigen sich danach immer noch Unterschiede zwischen den Ernährungsgruppen, beispielsweise im Herzinfarktrisiko, sind diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die unterschiedliche Ernährung zurückzuführen.

Zwar ist häufig nicht eindeutig zu erklären, welche einzelnen Ernährungsfaktoren für bestimmte gesundheitlichen Effekte verantwortlich sind. Dennoch liefern Studien zahlreiche Erkenntnisse, welche Lebensmittelgruppen oder Lebensmittelinhaltsstoffe sich entscheidend auf die Gesundheit auswirken können.

Gemüse und Obst

Gemüse und Obst sind die wohl bekanntesten Bestandteile einer gesundheitsfördernden Ernährungsweise. Im Vergleich zu Mischköstler/innen haben Vegetarier/innen und vor allem Veganer/innen einen deutlich höheren Gemüse- und Obstverzehr und damit auch eine höhere Zufuhr von Antioxidantien. Studien zeigen, dass ein höherer Verzehr von Gemüse und Obst mit einem geringeren BMI bzw. einem geringeren Risiko für Übergewicht und Adipositas einhergeht. Einzelne Gemüse- und Obstarten, wie grünes Blattgemüse, Wurzelgemüse oder Blaubeeren, sind mit einem geringeren Diabetesrisiko verbunden. Ein hoher Gemüse- und Obstverzehr kann sich zudem positiv auf den Blutdruck sowie das Hypertonierisiko auswirken. Auch bei der Prävention von Herzerkrankungen und Schlaganfall spielen Gemüse und Obst eine wichtige Rolle. Bei der Krebsvorbeugung sind nicht-stärkehaltige Gemüse- und Obstarten von Bedeutung: Sie liefern reichlich Antioxidanzien, wie β-Carotin, Vitamin C und sekundäre Pflanzenstoffe, die potentiell der Bildung von Tumoren entgegenwirken können.

Vollkornprodukte und Ballaststoffe

Auch der Verzehr von Vollkornprodukten und damit die Ballaststoffzufuhr liegen bei Menschen mit pflanzlicher Ernährungsweise deutlich höher als bei üblicher Mischkost. Verschiedene Studien zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen einer erhöhten Ballaststoffzufuhr und einem niedrigeren BMI gibt. Besonders effektiv wirkt sich der Verzehr von Vollkornprodukten und Ballaststoffen auf das Typ-2-Diabetesrisiko aus. Ballaststoffe, vor allem aus Vollkorngetreide, senken außerdem erhöhte Blutfettwerte und verringern das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Im Zusammenhang mit Krebs zeigt sich eine vorbeugende Wirkung der Ballaststoffe vor allem bei Dickdarmkrebs.

Nüsse und Hülsenfrüchte

Auch Nüsse und Hülsenfrüchte spielen bei pflanzenbasierten Ernährungsformen und deren positiven Gesundheitswirkungen eine bedeutende Rolle. Obwohl Nüsse sehr kalorienreich sind, ist ein höherer Verzehr mit einem niedrigen Körpergewicht verbunden oder unterstützt sogar die Gewichtsabnahme. Ursachen hierfür ist unter anderem ein hoher Sättigungseffekt (auch aufgrund des hohen Proteingehalts) und infolgedessen eine niedrigere Gesamtenergiezufuhr. Sowohl Nüsse als auch Hülsenfrüchte, insbesondere Soja, können einen leicht blutdrucksenkenden Effekt haben. Der Verzehr von Nüssen und Hülsenfrüchten (inkl. Soja) wird außerdem mit geringeren Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegeln in Verbindung gebracht. Vor allem im Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen zeigen sich Nüsse als wirkungsvolle Lebensmittelgruppe. In drei großen US-amerikanischen Langzeitstudien hatten die Teilnehmer, die mindestens fünf Portionen Nüsse pro Woche verzehrten, ein um 20 Prozent verringertes Risiko für koronare Herzkrankheit. Eine Meta-Analyse fand bei diesem Nusskonsum sogar eine um fast 30 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, an einer Herzerkrankung zu sterben. Als wesentliche Inhaltsstoffe für diese schützenden Effekte gelten die entzündungshemmende Alpha-Linolensäure, Ballaststoffe, Folat, Magnesium und Kalium. Nüsse zählen außerdem zu den Lebensmitteln mit dem höchsten Gehalt an Antioxidantien, wie Vitamin E und Polyphenolen.

Sekundäre Pflanzenstoffe

Pflanzliche Lebensmittel enthalten neben Vitaminen und Mineralstoffen auch eine Vielzahl an sekundären Pflanzenstoffen. Diese erfüllen verschiedene Funktionen in der Pflanze und dienen unter anderem als Abwehr-, Duft-, Geschmacks- und Farbstoffe oder als Wachstumsregulatoren. Bekannte Vertreter sind beispielsweise Carotinoide, Flavonoide und Phenolsäuren. Da sich die gesundheitsfördernde Wirkung dieser Pflanzenstoffe insbesondere durch die Zufuhr im Verbund entfaltet, profitieren vor allem diejenigen davon, die sich besonders vielfältig pflanzlich ernähren: Vegetarier/innen und Veganer/innen verzehren im Vergleich zu Mischköstler/innen deutlich mehr unterschiedliche Arten (teilweise auch Sorten) pflanzlicher Lebensmittel und nehmen dadurch auch eine größere Vielfalt an sekundären Pflanzenstoffen auf. Diesen bioaktiven Substanzen, im Englischen auch phytochemicals genannt, werden unter anderem antioxidative, antientzündliche, Cholesterinspiegel-senkende und antikanzerogene Eigenschaften zugeschrieben.

Tierische Lebensmittel: Fleisch und Wurst

Die in zahlreichen Studien dokumentierten gesundheitlichen Vorteile von Vegetarier/innen und Veganer/innen sind zu einem erheblichen Teil auf die positiven Gesundheitswirkungen von vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln zurückzuführen. Außerdem konsumieren sie keine tierischen Lebensmittel, die mit eher ungünstigen Wirkungen in Verbindung stehen. Besonders rotes, verarbeitetes Fleisch, das durch Salzen, Räuchern oder ähnliche Verfahren haltbar gemacht wurde (z. B. Wurst, Schinken), steht in Verbindung mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs. Diese negativen Gesundheitseffekte sind auf verschiedene Inhaltsstoffe von Fleisch und Wurst, beispielsweise gesättigte Fettsäuren, Hämeisen und Nitrit, zurückzuführen.

Pflanzliche Ernährungsweisen gehen mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Vorteilen einher

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch eine abwechslungsreiche und vollwertige pflanzenbasierte Ernährung nicht nur eine ausreichende Nährstoffzufuhr sichergestellt, sondern auch das Risiko für verschiedene ernährungsmitbedingte Erkrankungen reduziert werden kann. Hierbei sind nicht einzelne Inhaltsstoffe, sondern die Vielfalt und das Zusammenspiel verschiedener vollwertiger pflanzlicher Lebensmittelgruppen (v. a. Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse) entscheidend.

Wie eine gesundheitsfördernde und bedarfsdeckende vegetarische oder vegane Ernährung praktisch umgesetzt werden kann, zeigen die Gießener vegetarische und die Gießener vegane Lebensmittelpyramide.

Dr. Markus Keller
Foto: Dr. Markus Keller

Dr. Markus Keller ist ein führender Experte im Bereich der pflanzenbasierten Ernährung und hat sich durch seine umfassenden Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen einen Namen gemacht. Als Leiter des IFPE und als zeitweiliger Professor für Vegane Ernährung hat er entscheidende Beiträge zur wissenschaftlichen Diskussion über Vegetarismus und Veganismus geleistet. Besonders hervorzuheben sind seine Standardwerke, die wichtige Erkenntnisse über vegane Ernährung in verschiedenen Lebensphasen bieten. Seine Forschung und Beratungsprojekte konzentrieren sich auf nachhaltige Ernährungsformen, was in der heutigen Zeit besonders relevant ist. Kellers Engagement fördert nicht nur das Verständnis für pflanzenbasierte Ernährungsweisen, sondern unterstützt auch die gesellschaftliche Akzeptanz und die praktische Umsetzung nachhaltiger Ernährung.

Literatur:

Leitzmann C, Keller M (2020) Vegetarische und vegane Ernährung. Ulmer Verlag, Stuttgart. 4. Aufl.

Weder S, Schäfer C, Keller M (2020): Die Gießener vegane Lebensmittelpyramide. Ernährungs Umschau Sonderheft 5: Vegan, 54-63. Update des Originalartikels: Weder S, Schaefer C, Keller M (2018): Die Gießener vegane Ernährungspyramide. Ernährungs Umschau 65 (8), 134-143

Weder S, Leitzmann C, Keller M (2019): Die Gießener vegetarische Lebensmittelpyramide – ein Update. Ernährung im Fokus 03, 206-212

Kategorien: Allgemein
Tags: Pflanzliche Ernährung, Wissenschaft und Forschung, Ernährungswende, Bildung, Wissenschaft und Forschung